Was passiert in Europa? 'Geschlechtsumwandlungsoperationen' in Deutschland
Trotz relativ starker Regulierung haben geschlechtsangleichende Operationen in Deutschland seit 2005 exponentiell zugenommen. Vereinfachter Zugang zu Gender-Medizin ist geplant, auch für Minderjährige.
Der Exportweltmeister der Gendermedizin
Deutschland nimmt eine einzigartige Rolle in der Geschichte der Gendermedizin ein. Am Institut für Sexualwissenschaft in Berlin, unter der Leitung von Magnus Hirschfeld, wurden einige der weltweit ersten geschlechtsangleichenden Operationen durchgeführt. 1922 unterzog sich Dora Richter, eine trans-identifizierte Person, einer Orchiektomie, gefolgt von einer vollständigen Entfernung der Genitalien und der Konstruktion einer Neo-Vagina. Lili Elbe, ebenfalls trans-identifiziert, erlebte ähnliche Eingriffe, darunter eine Gebärmuttertransplantation, an deren Komplikationen Elbe letzlich verstarb.
Lange bevor das Institut von den Nationalsozialisten geschlossen wurde und Hirschfeld ins Exil ging, emigrierte Harry Benjamin, der ebenfalls am Institut für Sexualwissenschaft studierte und stark von Hirschfelds Arbeit und Vorstellungen geprägt wurde, in die USA. Dort entwickelte er die Gendermedizin stark weiter und wurde der Namensgeber der Organisation, aus der einmal WPATH (World Professional Association for Transgender Health) werden sollte.
Zugang zur geschlechtsangleichender Medizin in Deutschland heute
Obwohl Deutschland historisch als Vorreiter in der medizinischen Geschlechtsangleichung gilt, ist der Zugang zu geschlechtsangleichender Medizin heute im internationalen Vergleich relativ streng geregelt. Das affirmative Modell hat sich noch nicht durchgesetzt, und Patienten müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Dazu gehören eine formale Diagnose von Geschlechtsdysphorie, bis zu einem Jahr Psychotherapie im Voraus sowie zwei unabhängige Gutachten von Psychotherapeuten, um die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung zu erhalten.
Was chirurgische Eingriffe betrifft, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGJKP) aktuell ein Mindestalter von 18 Jahren. Diese Empfehlung sollte rechtlich bindend sein, da das deutsche Recht (§ 1631c BGB) medizinische Eingriffe, die zur Sterilisation von Minderjährigen führen, explizit verbietet. Diese Regelung beruht auf den Lehren aus der NS-Zeit, in der es zu Zwangssterilisationen von behinderten und psychisch kranken Menschen kam.
Geschlechtsangleichende Operationen: Ein Anstieg um 2560 % seit 2005
Öffentliche verfügbare Daten zu stationären chirurgischen Eingriffen in Deutschland werden von Destatis bereitgestellt und sind öffentlich zugänglich. Die fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik (DRG-Statistik) umfasst alle von der Krankenversicherung abgedeckten Eingriffe seit 2005 und sind nach Wohnort der Patiente (Bundesland), rechtlichem Geschlecht und 22 Altersgruppen gegliedert. Wichtig ist jedoch, dass seit 2011 eine Genitaloperation für eine rechtliche Geschlechtsänderung nicht mehr erforderlich ist, was die Daten über das rechtliche Geschlecht verfälschen kann. Eingriffe, die privat bezahlt werden, sind nicht in diesen Daten enthalten.
Die Daten weisen medizinische Eingriffen Codes zu (OPS-Codes für operative Eingriffe), was bedeutet, dass neben Standardoperationen wie Appendektomien auch 'Geschlechtsumwandlungsoperationen' als eigene Kategorie erfasst werden (OPS-Code 5-646). Dabei werden nur genitalangleichende Operationen im Zusammenhang mit Transgender-Patienten erfasst: Für biologisch männliche Patienten bedeutet das eine Emaskulation und anschließende Vaginoplastik und für biologisch weibliche Patienten ein Penoidaufbau/Phalloplastik und damit verbundene Eingriffe. 12
Hier (Abbildung 1) sind auf der linken Seite die Inzidenzraten der Gesamtzahl der Operationen nach Altersgruppe abgebildet (alterspezifische Inzidenzrate: Gesamtzahl der Operationen geteilt durch die Bevölkerung in der jeweiligen Altersgruppe, multipliziert mit 100.000), während auf der rechten Seite die Rohdaten (jährliche Anzahl der Operationen) dargestellt sind. Die Inzidenzraten sind informativer als die Rohdaten, da sie eine genauere Darstellung davon bieten, wie verbreitet diese Eingriffe in den einzelnen Altersgruppen sind. Angesichts der alternden Bevölkerung Deutschlands sind 500 Operationen in der wachsenden Altersgruppe der 50-Jährigen weniger aussagekräftig als 500 Operationen unter der schrumpfenden Anzahl der 18- bis 25-Jährigen.
Die Anzahl der geschlechtsangleichenden Operationen hat über die Jahre hinweg stark zugenommen. Bemerkenswert ist, dass es im Jahr 2005 nur insgesamt 120 solcher Operationen gab, während diese Zahl bis 2023 auf 3.075 gestiegen ist. Allerdings würde der Fokus nur auf die Rohzahlen einen wichtigen Trend übersehen: Innerhalb der Altersgruppen sind diese Eingriffe am häufigsten bei den 18- bis 25-Jährigen geworden. Diese Verschiebung in der Altersstruktur sowie der generelle Anstieg der Operationen wird in der folgenden Grafik veranschaulicht, die die Altersverteilung dieser Eingriffe über mehrere Jahre hinweg zeigt.
Im Jahr 2005 waren geschlechtsangleichende Operationen selten, und wenn sie durchgeführt wurden, waren die Patienten meist in ihren Dreißigern oder Vierzigern. Obwohl die Häufigkeit dieser Operationen in allen Altersgruppen zugenommen hat, sticht der sprunghaften Anstieg bei den 18- bis 25-Jährigen heraus. Von nur 8 Operationen im Jahr 2005 auf über 985 im Jahr 2023 – das entspricht einem erstaunlichen prozentualen Anstieg von 12 312%. Es ist wichtig zu betonen, dass diese Zahlen die Anzahl der Operationen und nicht die Anzahl der Patienten widerspiegeln. Da pro Person oft mehrere Operationen erforderlich sind, liegt die tatsächliche Zahl der Patienten wahrscheinlich geringer. Dennoch bleiben die Zahlen beeindruckend:
Insgesamt: 24.713 geschlechtsangleichende Operationen seit 2005
Davon 6.404 in der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen
Es ist schwierig, Vergleichszahlen aus anderen Ländern zu finden, insbesondere in Bezug auf Genitaloperationen. Schätzungen gibt es eher zu geschlechtsbestätigenden Mastektomien und Genitaloperationen bei Minderjährigen, aber weniger für die Gesamtbevölkerung (siehe die 'Do No Harm Database' und Schätzungen von Leor Sapir3). Eine Studie von Wright et al4. schätzt, dass in den USA zwischen 2016 und 2020 16.872 geschlechtsangleichende Operationen durchgeführt wurden. In Deutschland waren es 9.327 solcher Eingriffe, und angesichts der Tatsache, dass die USA etwa viermal so viele Einwohner haben wie Deutschland, sind chirurgische Eingriffe in Deutschland weniger eingeschränkt, als es auf den ersten Blick scheint. Da die Autoren der US-Studie klarstellen, dass ihre Schätzungen wahrscheinlich eine Unterschätzung darstellen, sollte dieser Vergleich mit Vorsicht betrachtet werden.
Was passiert bei den Minderjährigen?
Laut medizinischen Empfehlungen und dem Sterilisationsverbot im deutschen Recht sollten solche medizinischen Eingriffe nicht an Minderjährigen durchgeführt werden. Wie die unten aufgeführten Daten jedoch zeigen, werden sie jedoch tatsächlich vorgenommen.
Obwohl die absoluten Zahlen niedrig sind, deutet ihr explosives Wachstum darauf hin, dass noch mehr solcher Eingriffe folgen werden. Im Rahmen einer Anfrage an das deutsche Bundesministerium der Justiz (die ich persönlich eingereicht habe), wurde bestätigt, dass solche Operationen an Minderjährigen gegen das Gesetz verstoßen. Doch in einem weiteren Beispiel für Trans-Exzeptionalismus schaffen es diese Eingriffe eine eindeutige Rechtslage zu umgehen. Noch wichtiger ist, dass sie in frei zugänglichen Daten dokumentiert sind, während gleichzeitig politische Entscheidungsträger und Journalisten dieses Phänomen weitgehend ignorieren.
Pädiatrische Geschlechtsmedizin: Auf dem Weg, ein europäischer Außenseiter zu werden?
Die Gendermedizin im Westen schlägt derzeit zwei entgegengesetzte Richtungen ein. Während in den demokratisch regierten Bundesstaaten der USA und in Kanada der Zugang ausgeweitet wird und dabei jüngste Entwicklungen wie die WPATH-Files und der Cass Review weitgehend ignoriert werden, fahren republikanische US-Staaten, Großbritannien und andere europäische Länder, insbesondere im Bereich der pädiatrischen Transition, einen vorsichtigeren Ansatz.
Was passiert im größten Land der EU? Es scheint, dass Deutschland eher dem Kurs von “Blue America” und Kanada folgt und einen europäischen Sonderweg einschlägt. Die aktuelle Regierung hat das Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg gebracht, während medizinische Fachverbände derzeit über neue Leitlinien für die geschlechtsangleichende Behandlung von Kindern beraten. In Bezug auf die Festlegung medizinischer Standards ähnelt das Verfahren in Deutschland eher dem amerikanischen Ansatz als der zentralisierten Entscheidungsfindung in Ländern wie Großbritannien oder Schweden. Da Deutschland ein föderales System ist, werden medizinische Behandlungsleitlinien von Fachverbänden festgelegt, wobei sich politische Entscheidungsträger in der Regel nur wenig einmischen.
Der neue Entwurf zur pädiatrischen Geschlechtsmedizin (noch nicht in Kraft) bezieht sich stark auf die WPATH SOC 8, und zwei Trans-Lobbyorganisationen (Bundesverband Trans* und Trans-Kinder-Netz, eine Lobbygruppe für „trans Kinder“) waren als Patientenvertreter involviert. Der Koordinator der Leitlinie ist ein Arzt, der das Center for Transgender Health in Münster leitet. Als die Frage aufkam, ob Minderjährige in der Lage sind, in medizinische Eingriffe einzuwilligen – einschließlich chirurgischer Eingriffe, die zwangsläufig zur Sterilität führen und technisch gesehen verboten sind – fanden die Autoren des Entwurfs eine vielsagende Rechtfertigung, deren Interpretation ich offen lasse:
"Wenn es um somatomedizinische Maßnahmen zur Behandlung einer Geschlechtsdysphorie geht, muss die Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit einer minderjährigen Person insbesondere auch unter Berücksichtigung ihres Entwicklungsstandes bezüglich der Wahrnehmung und Reflektion ihrer eigenen geschlechtlichen Identität ) erfolgen. Kognitiv reife Minderjährige mit persistierender Geschlechtsinkongruenz oder -dysphorie können regelmäßig auch die nötige Urteilskraft haben, um hinsichtlich somatomedizinischer Behandlungsmaßnahmen als einwilligungsfähig zu gelten." (p.237, siehe Fußnote 6)5
Mit der Einführung des Selbstbestimmungsgesetztes, sehr pro-Transitions Leitlinien, die in Kraft treten könnten und einem politischen und medialen Umfeld, das bei dem Thema weitgehend schweigt, scheint Deutschland in Europa einen eigenen Weg zu gehen.
Es ist außerdem wichtig zu beachten, dass Operationen aufgrund von uneindeutigen Genitalien bei Personen mit einer Variation der Geschlechtsentwicklung (DSD) einen eigenen Code erhalten.
https://www.icd-code.de/ops/code/5-646.html
https://www.city-journal.org/article/a-consensus-no-longer
Wright, Jason D., et al. "National estimates of gender-affirming surgery in the US." JAMA Network Open 6.8 (2023): e2330348-e2330348.
https://img.welt.de/bin/Entwurf-AWMF-Leitlinie-Geschlechtsinkongruenz_bn-250692300.pdf